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Besuch. Türchen 24.

Er tippte Nicola leicht an die Schulter: «Warum hast Du Dir die Bank vor unserem Haus ausgesucht? Warum bist hier?» Die Härte kehrte in Nicolas Gesicht zurück: «Wundert mich, dass Du jetzt erst fragst.» Sie schwieg und liess einen um den anderen Teigstreifen in das sprudelnde Salzwasser gleiten. Jonathan stand dicht bei ihr an den Herd gelehnt und sah Ihr zu. Nach einer Weile setzte er nach: «Das ist keine Antwort.»

Sie zuckte mit den Schultern: «Stimmt.» Jonathan war der Meinung, sie sei ihm eine Antwort schuldig: «Ich warte.» Nicola schwieg beharrlich. Jonathan schüttelte den Kopf. Nicola sagte plötzlich leise: «Und wenn es Zufall wäre?» In diesem Moment klingelte das Handy von Jonathan, das auf dem großen Eichentisch auf den vom Morgen liegen gebliebenen Zeitung vibrierte: «Hallo Barbara.» Jonathan hörte kurz zu: «Ja passt. Auch nach zwölf. Kein Problem. Habe sowieso Besuch. Wer? Erzähl’ ich Dir später.» Jonathan legte das Mobile zurück. Nicola ließ sich vom Herd vernehmen: «Deine Frau wird nicht begeistert sein, wenn Sie von Deinem Besuch Genaueres erfährt.» Nicola hatte am heißen Herd inzwischen den Pullover ausgezogen. Das schwarze Top brachte athletische Arme und ebenso athletische Schultern bestens zur Geltung. Im Dekolleté glitzerte das Gold eines Davidstrens. Jonathan nickte nachdenklich, während er Nicola zusah, wie sie die inzwischen oben auf dem Wasser schwimmenden Pizokel mit dem Schaumlöffel aus dem Topf hob und sie in die vorgefettete Auflaufform gleiten ließ. «Könnte sein. Sie mochte den kiffenden Zaungast tatsächlich nicht. Aber wo waren wir stehen geblieben? Zufall? Meine Lebenserfahrung – und übrigens auch meine Überzeugungen – sagen mir, dass der ‹Zufall› immer dann ins Spiel gebracht wird, wenn Dinge geschehen, die wir nicht erklären können.» Nach einer kurzen Pause fügte er an, mit mehr Schärfe in der Stimme als gewollt: «Oder wollen.» Nicola drehte den Herd ab, packte die Auflaufform, drehte sich um und forderte Jonathan auf: «Könntest Du mir den Dampfgarer bitte aufmachen.» Jonathan klappte die Türe des schon leise blubbernden Garers herab und zog das mittlere Gitter heraus, auf das Nicola die Auflaufform abstellte. Er schloss die Türe wieder. Sie roch gut, stellte Jonathan fest. Nicola ging zum Herd zurück, rührte die dort fein schmurgelnde Salbeibutter vorsichtig um. Dann griff sie nach dem Wasserglas lehnte sich mit der Hüfte an den Herd und sah Jonathan herausfordernd an: «Da waren wir heute Abend doch schon einmal. Dass die meisten Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Und wir sie deshalb auch nur unzureichend verstehen. Weil uns ganz einfach dazu die Sinne fehlen.»

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Besuch. Das erste Türchen.

Sie stand direkt an der Einfahrt. Barbara hätte die Frau fast überfahren, als sie von dem fast kreisrunden, kleinen Platz in den gepflasterten Hof einbog. «Mama. Achtung.» Lina auf dem Rücksitz, die sie nach dem Einkauf von der Klavierstunde abgeholt hatte und die ausnahmsweise nicht auf ihrem Handy dattelte, hatte fast geschrieen. Barbara kannte die Frau nicht. Sie war mittelgross, nachlässig aber nicht schmutzig oder ärmlich gekleidet, und sie hatte offensichtlich ins Tal geblickt, wo in der aufkommenden Dämmerung die Lichter der Stadt glitzerten und sich im See spiegelten. Die Frau allerdings hatte nur kurz den Kopf gewendet und schien dann wieder ungerührt den phantastischem Ausblick zu geniessen, den man vom wunderschönen Barbaraplatz aus hatte.

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Nichts. Ist relativ.

«Doch langsam wird es eng für unsere Zukunft. Wir erleben einen Angriff auf den Traum, den wir zu leben wagten. Ob in Israel, in der EU oder in der Ukraine. Despoten und Terroristen zerstören menschliche Körper. Aber menschliche Träume zerstören die anderen – die gleichgültigen Nachbarn, die unauffälligen Schweiger, die unterkühlten Relativierer und die vielen, die sich zu bequem geworden sind, um sich ernsthaft der neuen Realität zu stellen.… Diese Kombination aus Gewalt und der Nichthaltung zu dieser Gewalt ist die tödliche Mischung unserer Zeit.» Das schrieb Sergey Lagodinsky kürzlich in der FAZ.

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«Der hat sie ja nicht mehr alle, … »

«Wow! Was, Du hast ein Wohnmobil gekauft? Einen VW-Bus? Wie cool ist das denn?» Mit California oder Pössls Ducato wäre unsereins in jeder Smalltalk Runde richtig gut dabei. Wenn es alle kaum erwarten können, in den wohl verdienten Ruhestand zu schaukeln. «Wie bitte, einen Porsche hast Du gekauft? Einen 911er? Na ja, Boxter ist ja auch nicht gerade billig? Einfach so? Nur zum Spass? Und Umwelt und Klima sind Dir völlig egal?» Ok, da würde die Unterhaltung – zum Beispiel in Deutschlands Öko-Hauptstadt Freiburg – schon schwieriger. Naja, alles eine Frage der Wahrnehmung. Oder?

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Der Horizont ist endlos weit.

Tina Turner ist tot. Gott hab sie selig. Lange vorbei und trotzdem plötzlich ganz nah – die Erinnerungen von damals, das eigene Lebensgefühl dieser Jahre: «Break Every Rule». Alles war möglich. Mit offenem Dach unterwegs, Tina Turner volle Lotte aus den selbst gebauten Boxen in der Karre, und mit ganz viel Hoffnung, dass Batterie und Lichtmaschine nicht abkacken. Sowie der Gewissheit, dass mir die Welt offen steht, alles möglich ist, … und die mich alle mal können. Wer «die» waren? Wusste ich damals nicht so ganz genau. Die «Spießer» und «Bünzli» halt, …

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Wenn Demokratie nichts oder alles wert ist.

Neulich beim Frühstück, in gemütlicher Runde anlässlich eines Geburtstages zu Gast: Fast hätte ich gesagt, rund und fett, aber sagen wir es doch lieber so – mit zufrieden satten Bäuchen waren wir versammelt. Unversehens wurde das Gespräch politisch. Eigentlich fest entschlossen, die Behaglichkeit des Augenblicks zu geniessen, wollte ich nicht hinhören. Dann die Aussage: «Mit der Glorifizierung der Demokratie sollte es jetzt schon mal ein Ende haben!» Überhören? Weiter am Cappuccino schlürfen, als wäre nichts gewesen? Ich geb’s zu – geht nicht. Auch nicht mit der größten Willensanstrengung, den friedlichen Vormittag weiter friedlich ausklingen zu lassen.

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Schafhaltung ist der Problemlöser?

«Schafhaltung ist der Problemlöser» war kürzlich eine Geschichte in der Tageszeitung überschrieben. Der auf die Schlachtung von Schafen spezialisierte und ob seiner versprochenen «fairen» Lust am Fleischgenuss euphorische Schlachthaus-Besitzer stellte dort auch seinen «wichtigsten Mitarbeiter» vor: den Leithammel. Der hat folgenden Job – ich zitiere: «Wenn es so weit ist, schreitet er zielsicher von der Weide zum Schlachthof und biegt kurz vor der entscheidenden Tür scharf links ab in sein Gehege. Das geht für die ihm folgende Herde zu schnell. Sie trottet brav ihrer Bestimmung entgegen.»

Die Erzählung hat mich beeindruckt – und seither überlagert dieses Bild meine Gedanken regelmässig, wenn ich die Zeitung aufschlage, …

Sauteuer. Gehört eigentlich verboten. Aber glücklich sein, ist alles.

«Mann, Mann, Mann. So sauteuer. Neunundfünfzig Euro kostet eine Tageskarte inzwischen!» Der Beginn eines Gesprächs auf dem Parkplatz der Feldbergbahnen. Am höchsten Gipfel des Schwarzwaldes. Dort, wo diesen Winter der Schnee knapp und die Stimmung bescheiden sind, und dort wo die sich abzeichnenden Klima-Veränderungen zuweilen die Emotionen hochkochen lassen. Der Verweis auf das diese Saison neu aus der Taufe gehobene «dynamische Preis-Modell» ändern an der Einschätzung des Parkplatz-Nachbars nichts. Ein Wort gibt das andere und schon sind wir in eine angeregte Diskussion verwickelt – um Umwelt, Klima und das Grundsätzliche.

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Türe 24: Spitzkohl-Curry.

«Mama ich hab Hunger!» Ob sie wollte oder nicht, der leicht drängende Tonfall, der aus Matteos Stimme zu klingen schien, setzte Eva unter Stress: «Ja, Mann, ich bin dran, hörst Du doch!» Scheppernd zog sie den Blechtopf auf die endlich heiss werdende Herdplatte. Das Feuer hatte sich im Ofen nur schwer entfachen lassen. Und sie hatte sich verschätzt. Sie hatten zu lange gebraucht für den Aufstieg zur Hütte, die sich auf einem runden, jetzt an Heiligabend, tief verschneiten, kugeligen Vorgipfel unter die Tannen duckte. Außerdem hatte Eva den Stoffbeutel mit dem Brot und die Blechdose mit Speck und Käse vergessen, wie sie gerade beim Auspacken des Rucksacks festgestellt hatte. Leise meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Sie hatte diesen Ausflug übers Bein gebrochen. Weihnachten und ein schönes Fest waren in ihrem Kopf weit weg gewesen, Sorgen und viel Arbeit jedoch sehr nah. Aber die Wanderung mit Übernachtung in der «Knusperhütte» , wie das einfache Schutzhaus mit Winterraum im Volksmund hiess, war der sehnlichste Wunsch von Matteo zum diesjährigen Weihnachtsfest gewesen. Matteo, Evas einziger, inzwischen neunjähriger, Sohn war blind. Der schmale Pfad, zwar von vielen Winterwanderern platt getreten, aber darum um so rutschiger, hatte sich für den kleinen Burschen beschwerlicher erwiesen als gedacht. Matteo jedoch hatte sich zäh und beharrlich vorwärts getastet und die mütterlichen Hilfsangebote unwirsch ausgeschlagen: «Lass mich!».

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Türchen 23: Zeit ist, was wir daraus machen.

«Das Finden seiner Aufgabe und die Überwindung der Ängste und Bedenken, dieser Bestimmung zu folgen, gehören zu den größten Herausforderungen des Lebens, und wenn auch Sie vor solchen Bergen stehen, dann wünsche ich Ihnen von Herzen alle Kraft dieser Welt, um diese Hindernisse zu überwinden.» Das schreibt kein Pfarrer oder Psychotherapeut, sondern dieser Tage Volker Loomann, seines Zeichens meistens – ironisch gestimmter – Vermögensberater in der FAZ.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen «Endjahres-Arbeits- und Feiertags-Gestressten» Zeit und Muße, über Weihnachten und Silvester diesen Gedanken freien Lauf zu geben, den Sprung zu wagen, und das Leben nicht auf die lange Bank zu schieben. Ich persönlich glaube übrigens, mit den richtigen Antworten gäbe es weniger Scheidungen, Missbräuche, Streit und Kriege, …